Es wird Zeit, vom toten Pferd abzusteigen.

Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, steig’ ab.
– Weisheit der Dakota-Indianer

Nach über 1’300 Diensttagen, vielen sehr schönen Erlebnissen, nützlichen Kontakten, einem grossen Rucksack an Erfahrung und einer sehr menschenorientierten Führungsausbildung wird es Zeit, ehrlich und nüchtern über die Armee als Ganzes Bilanz zu ziehen. Es geht also nicht um die kleinen Dinge, sondern um die (Aus-)Richtung der ‘strategischen Reserve’ unseres Landes.

Was würde es denn bringen, wenn zwar Ausrüstung und Ausbildung top wären, alle Soldaten ins Schwarze treffen könnten und wir mit Küchenchefs und Militärmusik alle Wettbewerbe gewinnen würden, aber die Armee grundsätzlich so schlecht aufgestellt ist, dass sie den Auftrag überhaupt nicht erfüllen kann? Richtig: Nichts.

Und damit sind wir bereits beim entscheidenden Punkt angelangt: Der Auftragserfüllung. Es geht also darum, ob am Ende des Tages die Armee die gewünschte Wirkung erzielen kann. Wobei man sich fragen darf: Welche Wirkung wollen wir denn erzielen? Dissuasion war ja mal, aber was ist es heute? (Ihre Antwort bitte in die Kommentare!)

Nun mag mancher zurecht urteilen, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten weder in einen Krieg hingezogen noch militärisch bedroht wurden. Zudem schreibt die Armee jährlich, dass die ihr übertragenen Aufgaben (sic!) zur Zufriedenheit der politischen Behörden und Veranstaltungsorganisatoren ausgeführt wurden (Lesen Sie dazu meine Replik im verlinkten Dokument). Seit der Einführung der aktuellen Armeeorganisation “WEA” wird nun plötzlich darauf verzichtet – man darf sich fragen ‘wieso?’.

Der Chefredaktor des ‘Schweizer Soldat’ (“Die führende, unabhängige Militärzeitschrift der Schweiz”) fragt rhetorisch im aktuellen Editorial: “Wer hilft, wenn ein Bergsturz Talschaften zudeckt, wenn Verbindungen ausfallen und Plünderungen drohen? Was wäre eine Fussball-EM ohne die Armee, was das WEF?” Natürlich die Armee! Daraus zu schliessen, dass wir über jene Armee verfügen, welche die Verfassung oder die strategische Lage (er)fordert, greift jedoch viel zu kurz. Ist dies die “raison d’être” einer Armee?

Betrachten wir also die Vorgaben aus der Bundesverfassung. Für diesen Zweck blicken wir zurück auf die Argumentation des Referendumskomitees gegen die Halbierung bzw. “Weiterentwicklung der Armee (WEA)”:

Verfassungsmässig oder nicht – das ist hier die Frage.
Ob die Armeereform verfassungskonform oder verfassungswidrig ist, entscheidet sich darin, ob die in der Bundesverfassung aufgeführten Aufträge (sic!) erfüllt werden können. Dazu muss man kein Jurist sein – im Gegenteil.

In einem Beitrag in der ASMZ 01/02 2016, Seite 8ff haben Robert Wieser (Chef Recht im Generalsekretariat VBS) und Dr. Gerhard Saladin (Chef Rechtsetzung im Generalsekretariat VBS) dargelegt, wieso die Armeereform “verfassungskonform” sein soll. Bei näherer Betrachtung fällt die Argumentation jedoch durch.

Bundesrat und Parlament, aber auch die “Juristen der Bundesverwaltung“, haben die Armeereform “WEA” als “verfassungskonform beurteilt“. Beide Gruppen dürfen als “WEA-freundlich” eingeschätzt werden. Eine unabhängige, aber dennoch offiziell anerkannte Meinung fehlt bis heute. Sollte womöglich das Ergebnis vor der eigentlichen Prüfung feststehen? Denn welche Bundesbehörde hat schon den Mut, das eigene Handeln oder die eigenen Entscheide als “verfassungswidrig” einzuschätzen?

Die korrekte, aber nie überprüfte Hypothese
Die Gegner des Armeereform haben insbesondere den Sollbestand von 100’000 Angehörigen der Armee (AdA) bemängelt. Zum Glück wird dieser Sollbestand und damit die Verfassungskonformität von den VBS-Juristen hergeleitet: Die beiden Rechtsexperten definieren:

Der Sollbestand ergibt sich indirekt aus der BV, in dem die Armee die ihr auferlegten Aufgaben erfüllen muss […]“. Und weiter “Bei diesem Sollbestand müssen primär die Kernaufgaben der Armee in den Bereichen Verteidigung, Friedenssicherung und Unterstützung der zivilen Behörden bei der Bewältigung ausserordentlicher Lagen gewährleistet werden.

Diese Definition erscheint sinnvoll und korrekt. Leider liefern die beiden Juristen keine Prüfung, ob mit der Armeereform die Anforderung der Bundesverfassung erfüllt wird. Die Armeereform wird einfach als ‘verfassungskonform’ “ausgelegt”!

Die Kernaufgabe Verteidigung muss also “primär […] gewährleistet werden“. Behalten wir diese Bedingung einmal im Kopf.

Konzentrieren wir uns im nächsten Schritt auf den eigentlichen Kernauftrag der Armee, den “Verteidigungsfall“. Dieser liegt aus Sicht der VBS-Juristen in diesen Fällen vor:

Die territoriale Integrität, die gesamte Bevölkerung oder die Ausübung der Staatsgewalt sind konkret bedroht;

Es handelt sich um eine zeitlich anhaltende Bedrohung, die über eine punktuelle zeitliche Bedrohung hinausgeht;

Es handelt sich um eine landesweite Bedrohung, die über eine örtliche oder regionale Bedrohungslage hinausgeht, wobei das Niveau der Bedrohung nicht im gesamten Land gleich hoch sein muss;

Es handelt sich um eine Bedrohung, die eine solche Intensität (Angriffsähnlichkeit) erreicht, dass sie nur mit militärischen Mitteln bekämpft werden kann.

Für eine Beurteilung der “Verfassungskonformität” sind daher folgende Fragen relevant:

  • Kann die Armee mit einem Sollbestand von 100’000 Angehörigen “die gesamte Bevölkerung” verteidigen?
  • Kann die Armee mit einem Sollbestand von 100’000 Angehörigen eine “zeitlich anhaltende Bedrohung, die über eine punktuelle zeitliche Bedrohung hinausgeht” begegnen?
  • Kann die Armee mit einem Sollbestand von 100’000 Angehörigen eine “landesweite Bedrohung” bekämpfen? .

Wir ziehen zur Beurteilung der drei Fragen das Leistungsprofil der WEA (siehe Kapitel 4.1ff im Erläuternden Bericht Rechtsgrundlagen WEA) zu Rate.

Quelle: admin.ch

Zunächst fällt auf, dass die “Verteidigung” des Landes weder in den “nicht vorhersehbaren” noch den “vorhersehbaren” Leistungen aufgeführt ist. Es wird einzig eine “Kernkompetenz Verteidigung” aufgeführt, welche dafür “permanent” zu erbringen ist. Wie aus dieser Kernkompetenz in der von einem Gegner zugelassenen Zeit eine verfassungskonforme Leistung entstehen soll, steht nirgendwo geschrieben. Es gibt dazu auch kein pfannenfertiges Konzept. Bereits hier fällt die Armeereform durch.

Für jene, die in der Abbildung eine veraltete Version sehen, hier die neue Ausgabe: In dieser (ohne Beschluss einer politischen Behörde geänderten Version!) spricht das VBS nicht einmal mehr von einer “Kernkompetenz”, sondern nur noch vom “Erhalt und Weiterentwicklung der Fähigkeiten zur Abwehr eines militärischen Angriffs“!

Quelle: Präsentation Kdt Ter Div 2, Behördenrapport 2018 KFS Luzern

Nochmals und in aller Deutlichkeit: “Abwehr” – nicht “Verteidigung”!

Die militärische Definition von “Abwehr” lautet: “Einsatz der Armee mit dem Ziel, durch koordinierte Wirkungen in allen Operationsräumen das Staatsgebiet und die Bevölkerung gegen den Angriff eines militärisch organisierten und ausgerüsteten Gegners zu behaupten.”

“behaupten”? Wieso nicht “verteidigen”? Wofür steht “behaupten”?

Die militärische Definition von “Verteidigung” lautet: “Armeeaufgabe mit dem Ziel, den Schutz von Land und Bevölkerung sicherzustellen und den Souveränitätsanspruch des Staates glaubhaft aufrechtzuerhalten.”

Bis 2017 lautete die militärische Definition von “Verteidigung”: “Gefechtsform mit dem Ziel, den angreifenden Gegner durch Feuer, Sperren und Stützpunkte sowie Gegenangriffe zu stoppen, zu vernichten oder zu zerschlagen. Sie wird aktiv geführt.” 


Auch bei den sekundären Aufträgen fällt die Armeereform durch
Bei der “Unterstützung der zivilen Behörden bei der Bewältigung ausserordentlicher Lagen” stellen sich uns die gleichen Fragen. Wie die Abbildung zeigt, dürfen die Kantone mit Leistungen von maximal 4 Wochen rechnen. Eine Ablösung ist nur “von Teilen” vorgesehen. Ist dies tatsächlich die Antwort auf eine “zeitlich anhaltende Bedrohung”?  Eher nicht. Hier fällt die Armeereform ein zweites Mal durch. .

Potenzierte Verfassungswidrigkeit
Zum Schluss verspricht uns das VBS: “Sämtliche im Leistungsprofil aufgelisteten Leistungen sind kumulativ, d.h. sie können bei Bedarf alle gleichzeitig erbracht werden.” – Ja, sie werden vermutlich gleichzeitig nach ein paar Wochen abgebrochen oder reduziert… Das Problem ist allerdings: Ausserordentliche Lagen laufen meist parallel zu Verteidigungsoperationen. Die Armee müsste also alle oben aufgeführten Aufträge PLUS die Verteidigung des Landes gleichzeitig (!) erfüllen können. Das ist selbst ohne Juristenstudium oder Generalstabsausbildung schwer zu glauben.

Zwischenfazit: Definitiv verfassungswidrig
Die aktuelle Armee kann den Kernauftrag nicht erfüllen. Die Armeereform WEA bzw. die Änderung des Militärgesetz’ war bzw. ist auch heute noch eindeutig verfassungswidrig.


Dennoch wird das Volk angelogen – selbst von erfahrenen Militärs: “Die Armee verteidigt Volk und Land aus eigener Kraft [sic!] […].” schreibt der Chefredaktor des ‘Schweizer Soldat’.

Wir können aber auch andere Aspekte prüfen, z.B. ob die Bodentruppen überhaupt zum Einsatz kommen könnten. Für deren erfolgreichen Einsatz wäre mindestens die Luftüberlegenheit notwendig.

“Traditionell wird im Kriegsfall versucht, Luftüberlegenheit durch das Zerstören gegnerischer Luftfahrzeuge, Flugplätze, Luftabwehrstellungen, Führungseinrichtungen sowie der zugehörigen Kommunikationseinrichtungen zu erlangen. Erringen und Erhalten der Luftüberlegenheit ist seit dem Zweiten Weltkrieg eine wesentliche Aufgabe für Luftstreitkräfte zu Beginn eines bewaffneten Konflikts.”

Quelle: wikipedia.org

Schafft es die Schweiz, eine Luftüberlegenheit mit den gegebenen Mitteln zu erreichen? Oder kann die Schweiz einen potenziellen Gegner davon abhalten, selbst die Luftüberlegenheit über der Schweiz zu erreichen?

Beide Fragen müssen leider mit NEIN beantwortet werden. Nur entfallen damit die notwendigen Bedingungen, damit Bodenoperationen erfolgreich ausgeführt werden können.

Dazu ein einfacher Vergleich: Damit ein Schiff erfolgreich von A nach B fahren kann, sollte es frei von Lecks [= gegnerische Luftüberlegenheit] sein. Falls Lecks da sein sollten, müssten die Pumpen das eindringende Wasser wieder schnell genug rauspumpen können [= eigene Luftüberlegenheit]. Nur so geht das Schiff nicht unter. Falls beides nicht gegeben ist, macht jede Diskussion über den Kurs, die Farbe, die Anzahl Passagiere etc. keinen Sinn. Genau da stehen wir in der Armeediskussion!


Die Verantwortlichen in den eigenen Reihen
Wer hat nun diesen Zustand “verbockt” und trägt damit die Hauptverantwortung? Das VBS – also der Verwaltungsteil der Armee! Alle Reformen wurden massgeblich nach den Wünschen und “Analysen” des VBS’ konzipiert. Bundesrat und Parlament haben sich einlullen lassen und es verpasst, rechtzeitig den Riegel zu schieben. Von wo kam die Vorgabe mit 100’000 AdA? Vom VBS. Wer beantragt die Ausserdienststellung von Volksvermögen (z.B. 12cm Fest Mw)? Das VBS! Wer glaubte, dass die Anzahl Diensttage reduziert werden kann und muss nun mit Unterbeständen auskommen? Das VBS! Die grösste Bedrohung der Schweizer Milizarmee sitzt mitten drin und rühmt sich, die Armee modernisiert und ‘weiterentwickelt’ zu haben.

Weitere Hinweise auf ein “totes Pferd”
Unsere Schweizer Milizarmee wurde seit 25 Jahren von VBS und Politik kontinuierlich ab- und umgebaut. Heute besteht Sie nur noch aus ‘Haut und Knochen’. Das Bild, welches ein Grossteil der Bevölkerung von unserer Armee als Ganzes hat, ist jenes der Armee 61. Damit erfüllt sie heute höchstens noch das Bild des “Potemkinschen Dorfes”.

Der Niedergang ist dabei primär eigenverschuldet: Er beginnt mit der kurzfristigen, naiven Beurteilung einer permanenten bedrohungslosen Welt, der übertriebenen Ausschüttung einer “Friedensdividende”, welche zu einer hohen “Verschuldung” bei Personal, Ausbildung, Logistik und Führungsfähigkeit führte und endet in den Versuchen, Rüstungsprogramme grundsätzlich “referendumsfähig” zu machen. Die Fehler passieren stets auf höchster, normativer Stufe. Das bleibt auch den Bürgern nicht verborgen. Daher verwundert es auch nicht, dass sich immer mehr Junge dem Zivildienst zuwenden. Wer will schon bei einer Organisation mitmachen, bei der man im Ernstfall nicht gewinnen kann?

Dazu kommt, dass sich die Kantone dieser misslichen Lage in keinster Weise bewusst sind und der Bevölkerung im Ernstfall ihren verfassungsrechtlichen Schutz verwehren müssen. Die 5 Mia. Franken Prämie, welche die Bevölkerung für diese “Versicherung” namens ‘letzte strategische Reserve’ bezahlen soll, ist daher in keiner Weise mehr gerechtfertigt. In der Privatwirtschaft würde man von “Versicherungsbetrug” reden.

Damit fehlt der Armee jegliche Legitimation, um mehr Geld zu verlangen. Das System Armee ist völlig falsch aufgestellt. “Never catch a falling knife!” oder “Man wirft nicht gutes Geld schlechtem hinterher” muss hier die Devise sein.

Wenn es das VBS nicht schafft, bei einem um 85% reduzierten Mannschaftsbestand die Betriebskosten massiv zu senken, um Geld für Investitionen frei zu machen (damit war schon die Armee XXI angetreten), braucht man dem VBS auch nicht noch mehr Geld zu geben. Oder würden Sie als Verwaltungsrat einem nur noch schrumpfenden Unternehmen mit offenbar falschen Produkten, verfetteten Strukturen, bürokratischem Management und davonlaufendem Personal einfach so Geld geben, ohne die strategische Ausrichtung zu ändern? Ach, sie glauben, die WEA sei diese strategische Wende? Dann denken Sie bitte nochmals darüber nach…!

Die letzte Reform hat es zudem verschlafen, auf neue Bedrohungsbilder Antworten zu liefern. So sucht man vergebens Einheiten, welche sich auf die Abwehr von Drohnen spezialisieren. Mit Blick auf die Fähigkeiten Russlands bezüglich elektronischer Kriegsführung scheinen auch unsere EKF-Kompetenzen stehen geblieben zu sein. Im Bereich Cyber kommt man erfreulicherweise, aber langsam vorwärts.

Das fehlende “Strategische Denken” der Führungsetage passt zur einseitigen Bedrohungsanalyse. Diese scheint sich primär auf Agenturmeldungen und den bekannten Umständen aus den Massenmedien zu stützen. Daher verwundert es auch nicht, dass die Lösungen ohne jeglichen strategischen Tiefgangs daherkommen. Betriebswirtschaftliche und politische Faktoren überragen militärtaktische Notwendigkeiten. So muss die Luftwaffe noch auf drei Flugplätzen basieren und die Logistik wird aus fünf Centern “sichergestellt”.

Auf welchem Niveau sich die sicherheitspolitische Diskussion der Schweiz befindet, erkennt man nur schon bei der Analyse der wöchentlichen Pressemeldungen (jeweils zusammengefasst in der “Sicherheitspolitischen Wochenschau der Fricktalischen Offiziersgesellschaft” – hier abonnieren – Archiv): Diese Woche ging es u.a. um den Kauf von Posaunen, einem 62-jährigen Rekruten, dem Kauf von Drohnen aus Israel und einer Lobby-Veranstaltung von SAAB. Vergleichen Sie diese Themenauswahl mit anderen Artikeln des Newsletters. Der Niveauunterschied könnte nicht grösser sein.

Völlig in Vergessenheit geriet offenbar auch die Neutralität, welche zwar auf dem Papier noch besteht, aber kaum mehr Einfluss auf die Militärpolitik hat. Lieber biedert sich die Schweiz der NATO an, als sich völlig frei auf dem Weltmarkt nach den besten Rüstungsgütern Ausschau zu halten.

So schreibt z.B. der Präsident der OGBB (ein Berufsoffizier!) in seinem Vorwort zur Ausgabe 2-2018: “Im Kriegs- und Verteidigungsfall stellt sich auch die Neutralitäts-Frage nicht mehr, dann dürfen wir Bündnisse mit anderen Staaten und Armeen eingehen.” Wie ernst ist es wohl der Schweiz, wenn die Neutralität sofort aufgegeben wird, sobald ein Krieg ausbrechen sollte? Diese “Doktrin” ist höchst gefährlich, wie die Geschichte zeigt.

Die völlig einseitige Ausrichtung auf die NATO (basierend auf der naiven Annahme, dass wir von “Freunden” umzingelt sind) muss deshalb aufgebrochen und das Programm “PfP” verlassen werden. Ohne diese Massnahmen sind wir nur noch auf dem Papier wirklich neutral.

“Das «Abkommen über die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte» (das sogenannte Haager Neutralitätsabkommen von 1907) besagte insbesondere auch, dass die Neutralen sich verpflichteten, ihre Neutralität militärisch verteidigen zu können – und zu wollen. Um seiner Pflicht zur Selbstverteidigung auch nachzukommen, dürfen die militärischen Kapazitäten des Neutralen aber nicht im luftleeren Raum schweben, sondern müssen einen realen Bezug zur militärischen Stärke allfälliger feindlicher Mächte aufweisen. Denn, so Art. 2 und 5 des Haager Abkommens, der Neutrale ist verpflichtet, Verletzungen seines Territoriums auch «bestrafen» zu können. Dies geht aber nur mit einer glaubwürdigen Armee […] Ohne eine zahlenmässig grosse Milizarmee lassen sich die völkerrechtlichen Pflichten des Neutralen nicht erfüllen. Darum muss jeder, der die Milizarmee abschaffen will, offen sagen, dass er damit auch die Neutralität abschaffen will. Ein Vorgang, den aber 95 Prozent der Schweizer Bürger nicht gutheissen wollen.”

Quellen: zeit-fragen.ch – Dokumentation Neutralitätwikipedia.org


Wird es besser?
Die nächste (halbe?) Armeereform wird bereits (wiederum vom VBS!) angedacht. Sie ist auf ca. 2024 terminiert. Dann sollen Mängel durch “Garantiearbeiten” behoben werden. Wie der Ausdruck bereits zeigt, geht es also nicht um eine grundlegende Änderung der Ausrichtung, sondern nur um kleinere Anpassungen. Man wird den Schritt wohl wieder “Entwicklungsschritt” (analog “Entwicklungsschritt 08/11”) nennen. Ob dann eine Erhöhung des Mannschaftsbestands Teil der Diskussion sein wird, ist heute kaum anzunehmen. Es bleibt also bei der personellen Mangellage.

Auch an der übernächsten Reform “Zielbild 2030” wird schon wieder gearbeitet. Man darf gespannt sein, welche Abbauschritte und “Weiterentwicklungen” vorgeschlagen werden. Damit ist weder eine Besserung geplant noch beabsichtigt.

In die Zukunft blickend stelle ich fest: Weder die politischen noch die militärischen Entscheidungsträger, noch die Parteien oder die Milizverbände können unmittelbaren Handlungsbedarf für eine grundsätzliche Kurswechsel erkennen oder wären dafür zu gewinnen. Damit liegt die Reanimation der Schweizer Milizarmee in weiter Ferne.

Lieber überlassen alle diese Verantwortlichen die Milizarmee dem desaströsen Gebaren des VBS, welches mit der Armeereform WEA den Rest der Milizarmee in Schutt und Asche verwandelt. Zwar hoffen diese Personen, dass es danach wieder aufwärts geht. Doch sie realisieren nicht, dass sie mit ihrem Verhalten das Pferd zu Tode geritten haben.


Fazit
Das Fazit kann daher nur lauten, dass das Pferd “Milizarmee” tot ist: Die Schweizer Milizarmee kann weder den in der Verfassung geforderten Auftrag erfüllen noch auf absehbare Zeit diese Fähigkeit wieder erreichen. Die Schweizer Milizarmee ist klinisch tot. Was wir heute noch als Armee zu erkennen glauben, ist eine Zombiorganisation, ein Potemkinsches Dorf.

Wobei: Eine “Milizarmee” haben wir schon lange nicht mehr, auch wenn die Grundsätze im Militärgesetz festgehalten sind. Eine Definition fehlt weiter. Viele Bereiche wurden “professionalisiert” (z.B. bei der Luftwaffe). Die Miliz dient dem VBS in erster Linie als PR-Objekt bei öffentlich interessanten Einsätzen oder dann als Mittel zur Erhöhung der Durchhaltefähigkeit von Berufskomponenten (vgl. meine Überlegungen von 2012).


Meine Konsequenzen
Ich bedauere zutiefst, dass es mir (als Teil von verschiedenen Milizorganisationen und zusammen mit einigen ebenso engagierten Mitkämpfern) in den letzten über zehn Jahren nicht gelungen ist, die Entscheidungsträger vom dringenden Kurswechsel zu überzeugen. Ich habe eingesehen, dass dieser Trend nicht aufzuhalten ist. Es braucht erst einen “Chlapf” (“Crash and Burn”), bis es wieder besser kommt. Deshalb gebe ich den Kampf für eine verfassungsmässige Armee nun auf und werde die Unterstützung für die aktuelle Nicht-Armee in Zukunft unterlassen. Fortan bestimmt die “Oekonomie der Kräft” meine sicherheitspolitischen Aktivitäten.

Selbstverständlich bleibe ich weiterhin ein grosser Befürworter eine echten, defensiv aufgestellten, dissuasiven Milizarmee. Aber eine Armee, welche ihre Kernfunktion nicht mehr erfüllten will und kann, hat ihre Unterstützungswürdigkeit verwirkt. Alles was ich noch tun kann ist, den stets schlechter werdenden Zustand der Schweizer Sicherheitspolitik festzuhalten, die Fehlentwicklung zu beschreiben und die Verantwortlichen ans Licht zu zerren. Leider werden sie die Konsequenzen dennoch nicht zu tragen haben.

Ich möchte auch klar festhalten, dass es Teile der Armee gibt, welche einen sehr guten Leistungsausweis haben (u.a. Führungsausbildung an der HKA, Militärmusik, Spezialeinheiten) bzw. wo viel gute Arbeit geleistet wird (z.B. Cyber). Mir tun diese Organisationen leid, denn ihr Beitrag wird nicht dazu führen, dass die Gesamtorganisation den Auftrag erfüllen kann. Oder anders ausgedrückt: Der beste Motor bringt nichts, wenn die Steuerung ausfällt.

Die grundlegenden Voraussetzungen für eine verfassungsmässige Miliz-Armee bleiben für mich natürlich unterstützungswert, etwa ein liberales Waffenrecht, die umfassende Milizarmee, eine Wehrpflicht mit abgestufter Tauglichkeit und die immerwährende, uneingeschränkte Neutralität. Auf dieser rückversetzten Verteidigungslinie kann ich mich mit gutem Gewissen einsetzen. Doch diese Position steht seit Jahren ebenfalls unter Dauerbeschuss und vereinzelt sind Durchbrüche zu verzeichnen. Wenn hier die letzte Stellung überrannt wird, gilt es die Koffer zu packen.

An die Adresse der Milizverbände geht meine Empfehlung: Verzichtet in Zukunft auf das Abfassen eigener Sicherheitsberichte, Armeekonzepte und Stellungnahmen! Solche Dokumente werden von den Verantwortlichen im VBS höchstens zur Kenntnis genommen, auf das Ergebnis haben sie jedoch keinen Einfluss – und wenn, dann finden sie höchstens eines Tages bei der Geschichtschreibung Beachtung. Verzichtet auf diesen grossen (Miliz-)Aufwand. Seid keine Feigenblätter mehr für das VBS.

Ja, vielleicht könnte ein grosses “Sich Abmelden” und Abwenden von mehreren grossen oder bekannten Milizverbände zu einem Aufwachen bei der Politik beitragen. Vielleicht würde dann der Ernst der Lage in Ansätzen realisiert. Sicher ist einfach: Ohne grossen “Ruck”, geht es nicht wieder aufwärts.

Mir bleibt nur noch allen herzlich zu danken, welche mich bei dieser undankbaren Aufgabe unterstützt haben. Ich habe auf diesem Weg viele aufrechte, intelligente, engagierte und liebenswerte Leute treffen dürfen. An jene, die weiterkämpfen wollen, rufe ich zu:

“Es ist eine Regel der Klugen, die Dinge zu verlassen, ehe sie uns verlassen.”

Balthasar Gracián (1601-1658), spanischer Philosoph und Schriftsteller

Das Pferd ist tot – steigt ab!

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10 Responses to Es wird Zeit, vom toten Pferd abzusteigen.

  1. Hervorragende Analyse, haarscharf und ohne Schnörkel wird der aktuelle Zustand unserer einst stolzen Armee auf den Punkt gebracht! Der hausgemachte Niedergang unserer Landesverteidigung, der nach dem Fall der Mauer systematisch eingeleitet wurde, hat ihre Wurzeln im VBS selbst. Was heute von der “Kanzel” herab dem Volk aufgetischt wird, dient nur noch der Täuschung und Vertuschung. Das Volk wiegt sich dadurch leider in völlig falscher Sicherheit.

  2. Hans Schmid says:

    Während auf der Homepage der Gesellschaft der Generalstabsoffiziere (GGstOf) unter NEWS vermerkt ist,” Es sind keine aktuellen News verfügbar oder aktiv geschalten”; beschäftigt sich die Gesellschaft in der jüngeren Vergangenheit mit Themen wie:
    – Der Veränderung des Mitgliederbestandes!
    – Dem Verkauf der exklusiven GstOf-TISSOT-Uhr!
    – Der Beförderungen im Korps der Generalstabsoffiziere!
    – Der Frage” Wird in der Armee zeitgemäss geführt?” stammt aus dem Jahre 2016!
    – Der Vereinsversammlung 2019 – diesmal im AAL Luzern – und da werden dann alle die Fragen im Zusammenhang mit dem Reiten eines toten Pferdes bei Prosecco und Häppchen besprochen.

  3. Gotthard Frick says:

    Seit einigen Jahren habe ich von Zeit mein Cetero Censeo wiederholt:
    Selbstverschuldet wehrlos, wird die Schweiz gleich zu Beginn eines möglichen Krieges in Europa mit hineingezogen.

    Wer sich einen Gesamtüberblick über die geopolitische Weltlage verschaffen will, kann die Schrift des Verfassers „Sicherheitspolitik 2018 ohne Illusionen“ als Sondernummer der on-line Basler Liberalen Nachrichten gratis herunterladen unter: https://www.basler-liberale-nachrichten.ch/download/summarum-4-.pdf

  4. Alfred Ramseyer says:

    Ausgezeichnete Darstellung der heutigen Situation, in welcher sich unsere Landesverteidigung befindet.
    Aus meiner bescheidenen Sicht müsste dieser Beitrag zur Pflichtlektüre für alle eidgenössischen Parlamentarier erhoben werden.
    Herzliche Gratulation an den Autor.

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  7. Markus M. Müller says:

    QED, 17. Mai 2019:

    “Nun hat der Bundesrat den Bericht «Boden» publiziert und auch gleich einen wichtigen Richtungsentscheid gefällt. Er ändert die Doktrin: Während sich die Armee bisher darauf vorbereitet hat, auf dem Feld mit schwerem Geschütz zu kämpfen, sollen die Bodentruppen in Zukunft stärker auf Gefechte in überbautem Gebiet ausgerichtet werden. […]

    Option 3 zielt […] auf hybride Konflikte, sieht aber eine Aufstockung der Truppen vor: Der Sollbestand würde von heute 100 000 auf 120 000 Armeeangehörige erhöht. Das fiele mit bis zu 9 Milliarden Franken ins Gewicht, die Kosten könnten aber stark variieren.

    Der Bundesrat hat sich für Option 2 und damit für leichtere Fahrzeuge entschieden. […] Die Regierung ist zwar dem Antrag des VBS gefolgt, im Bericht wird allerdings klar, dass die Armee eine andere Option favorisiert: Nummer 3, die den Bestand deutlich erhöhen will. Die VBS-Spitze erklärt, dies wäre zwar militärisch am besten, aus politischen und finanziellen Gründen habe man sich aber für die günstigere Variante entschieden. Zwar könnte die Armee mit mehr Personal den Schutz kritischer Infrastruktur besser und länger gewährleisten. Doch die gegenwärtige Bedrohungslage verlange dies nicht. Dass die Forderung nach mehr Personal überhaupt aufkommt, ist brisant, weil die Bestände der Armee zurzeit im Zuge der Weiterentwicklung der Armee (WEA) reduziert werden.”

    …wie gesagt: eine Vergrösserung der Armee ist auf absehbare Zeit nicht möglich. Damit bleibt die Armee ein “Potemkinsches Dorf”. Daran ändert sich auch nichts mit der neuen Doktrin. Dass das VBS nicht Option 3 beantragt, zeigt einmal mehr, dass sie die Verantwortung für den Niedergang unserer Milizarmee tragen. Hätten Sie Option 3 beantragt, der Bundesrat aber Option 2 beschlossen, wäre die Verantwortung bei der politischen Behörde gelegen. So aber macht sich das VBS zum Hauptverantwortlichen. QED!

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