Die sicherheitspolitische Realität drückt durch

Der politische Kampf in Bern über die Armeefinanzen zeigt einmal mehr, dass sich die Politik nur um Details kümmert und den Blick aufs Ganze verliert. “Mehr Geld = mehr Sicherheit” ist ein Trugschluss oder ein Werbeslogan der Rüstungsindustrie. Es gibt genug Beispiele, wie Streitkräfte mit kleineren Budgets und mehr Kreativität eine höhere Wirkung erzielen. Dazu braucht es erst einmal eine ehrliche Standortbestimmung. Nicht nur bei der geopolitischen “Grosswetterlage” versagt die Schweiz, sondern auch auf der sicherheitspolitischen Ebene. Darum geht es in diesem 2. Teil.

Abbau bis zur Unfähigkeit

In den vergangenen 35 Jahren haben fast alle europäischen Staaten ihre Armeen reduziert und meistens auf extraterritoriale Missionen (z.B. Irak, Afghanistan, Syrien) ausgerichtet. Die Führung dieser Missionen lag bei den USA oder der NATO. Auch die Schweiz hat hier mitgemacht und stellt noch heute Truppen im Kosovo oder “Peacekeeper” an den ehemaligen Fronten. Vereinfacht gesagt: Die Amerikaner konnten sich mit Hilfe der Europäer auf neue Regionen ausrichten, um ihre Macht zu vergrössern oder Unruheherde (im Dienste der USA) zu schaffen, während die Vasallen oder Verbündeten sich um die Sicherung der Situationen kümmerten.

Neben der reduzierten Truppenstärke wurde auch an anderen Orten runtergefahren: der Verlust bzw. eine Nicht-Erneuerung von Waffensystemen, eine praktisch stillstehende Militärtechnologieentwicklung und der Abbau von politischen Kompetenzen im Bereich der Sicherheitspolitik. Anstelle von eigenen Fähigkeiten hat man sich auf das Kollektiv der NATO verlassen. Ohne eine in den Medien abgebildete Bedrohung liess man alles schleifen. Bedrohungen im Nahen Osten oder auf der Korea-Halbinsel liegen für viele zu weit weg.  

Doch dann: “Plötzlich” operative Hektik bei geistiger Windstille

Heute sieht alles anders aus. Die EU- und NATO-Sicherheits-Experten gehen neu davon aus, dass sich die EU und Russland in weniger als einem Jahrzehnt auf dem Schlachtfeld gegenüberstehen könnten. Und die Verantwortlichen tun alles dafür, dass die Lösung nicht mit Diplomatie sondern mit dem Schwert herbeigeführt wird. EU-Politiker und -Bürokraten fordern: „Wir müssen bereit sein, Russland in sechs bis acht Jahren militärisch zu begegnen“ und „Die EU muss in Ergänzung zur NATO und gemeinsam mit ihren Mitgliedstaaten die Produktion von Verteidigungsgütern erhöhen, die Reserven aufstocken und der Ukraine weiter helfen.“ Koste es was es wolle – egal was die eigene Bevölkerung dazu meint und egal, welche wirtschaftlichen Schäden die Länder davon tragen.

Interessanterweise sind dies die gleichen Expertengruppen, welche Russland im Kampf mit den ukrainischen Streitkräften eine rasche Niederlage voraussagten. Ihre Prognosefähigkeit scheint diskussionswürdig. 

Schwamm drüber! Welches Ziel verfolgen solche “Experten”? Klar scheint, dass man die Gefahr von Russland als Rechtfertigung für den eingeschlagenen Weg nimmt (Aufrüstung mit NATO-Waffen, Aufgabe der Neutralität, …) und sich nicht überlegt, mit welchen Mitteln wir einen Krieg  mit Russland VERHINDERN könnten (Neutraltität, Offenheit ggü Neuem auch vom Osten). Es ist so, als ob ein militärischer Konflikt bereits feststehen würde und man alle anderen Mittel einfach so wegwerfen will. Man WILL im Westen den Krieg! Also will man Russland unter allen Umständen PROVOZIEREN. Und das ist es auch, was wir überall in Europa sehen. Russland soll zu einem Schritt bewegt werden, dem es dem Westen ermöglicht, Russland erneut als Aggressor zu bezeichnen – und so geht es munter weiter. Ewiger Krieg…

Dass die NATO offenbar während Jahren geschlafen hat, zeigen die vielen Herausforderung, welche in den Stäben aktuell bearbeitet werden: Da geht es um mit Panzern unpassierbare Brücken (zu hohe Tonnage), unterschiedliche Vorschriften beim Patiententransport von der Front im Osten zurück, fehlende Permanenzen und Stellungen oder dann die fehlenden Kapazitäten bei der Waffen- und Munitionsproduktion. Man fragt sich unweigerlich: Schafft es die NATO überhaupt noch rechtzeitig? Kann der Westen wirklich in den nächsten Jahren die Rüstungsgüterproduktion so steigern, dass in der gegebenen Zeit mehr produziert wird, als Russland bereits produziert hat oder noch produzieren wird? Kann der Westen dieses gestartete Wettrüsten in absehbarer Zeit gewinnen? 

Entscheidend bei diesem Wettrüsten ist z.B. die Qualität dieser Rüstungsgüter. Der Westen produziert Waffen, Munition und Systeme, die vor Jahren entwickelt wurden und bisher – wenn überhaupt – auf dem ukrainischen Schlachtfeld nur schlechte Resultate gezeigt haben. Die Produktion ist teuer und mit steigenden Energiepreisen wird sich dies auch nicht so schnell ändern. Eine Auslagerung in günstigere Länder scheint zusehens schwierig, weil diese sich eher ihrem BRICS-Bruder anschliessen würden. Zudem fehlen oft Spezialisten. Von der Forschung brauchen wir gar nicht zu reden. Auf der anderen Seite verfügt Russland über erprobtes, ständig den Erfahrungen und Anforderungen angepasstes Kriegsgerät. Diese Produkte sind überdies nicht nur günstiger in der Beschaffung sondern auch einfacher in der Wartung. Die Wachstumsraten in deren Produktion sind kaum zu glauben. Russland produziert für den Sieg. Der Westen produziert für den finanziellen Gewinn.

Wie soll Europa diesen Wettlauf gewinnen? Der gesunde Menschenverstand – der bei akademischen Vertretern oft unterentwickelt zu sein scheint – lässt nur einen Schluss zu: Ein Krieg gegen Russland kann nur verloren werden. Findet euch endlich damit ab und verzichtet darauf, die Probe aufs Exempel machen zu wollen.

Doch wieso jetzt plötzlich die Eile? Ganz offenbar wurde man auf dem falschen Fuss erwischt. Wie oft konnte man in unseren Qualitäts-Gazetten lesen, dass die Russen nur noch für wenige Tage über Munition verfügen würde oder dass die Soldaten massenhaft desertierten. Man ging (zu lange?) davon aus, dass die nach NATO-Standards seit Jahren ausgebildete und alimentierte Ukraine die Russen innert weniger Tage besiegen oder zumindest so schwächen würde, dass anschliessend der Westen mit einem Sonntagsausflug Russland auf den Boden ringen könnte. Das war wohl alles nur Wunschdenken oder Propaganda. Oder man hat sich auf die falschen Experten verlassen, die offenbar keine Informationen aus erster Hand erhielten, sondern diese aus Medien und dem Nachrichtenverbund erhielt. 

Somit darf man fragen: “Seid ihr nicht schon lange zu spät?” Was, wenn “der Russe” viel früher bereit sein sollte? Was, wenn die produzierten Waffen (z.B. Luftabwehr) gegen die hoch entwickelten Systeme Russlands (z.B. Hyperschall, Elektronische Kampfführung, bodengestützte Luftabwehr) kaum entscheidende Wirkung erzielen können? Zeigt uns nicht gerade die Ukraine, dass gegen Russland “kein Kraut gewachsen” ist – und noch nie war? Welchen Teufel hat z.B. Scholz geritten, wenn er von Russland nichts anderes als die Kapitulation erwartet? Und selbst Merz scheint sich der Lage nicht bewusst zu sein und stellt an Russland ein Ultimatum (!). Wenn es ein Musterbeispiel für “Realitätsferne” gebraucht hat, dann können diese beiden Herren sofort zitiert werden.

Wollte Putin Europa überfallen und bis zum Atlantik vorstossen, so müsste er dies schon seit Jahren getan haben. Jetzt wo die Armeen wieder aufrüsten wird es doch immer schwieriger, oder besser: weniger einfach. Wieso soll er also nochmals ein paar Jahre damit zuwarten, bis die NATO “bereit” ist? Und was soll Russland mit einem wirtschaftlich am Boden liegenden Europa tun? Es “befreien”? Einverleiben? Daran hat Russland – wie es selbst immer wieder sagt – keinerlei Interesse. Das Land hat alles, was es braucht und mit BRICS und einiger anderer Organisationen hat es genügend grosse Abnehmer seiner Produkte und Dienstleistungen.

Man braucht daher keine Kristallkugel, um den Ausgang in der Ukraine vorherzusagen: Die Ukrainer und damit indirekt die NATO, die EU und die USA werden militärisch geschlagen. Das darf natürlich nicht passieren, denn dann stünde der Kaiser ohne Kleider da! Also liegt es klar im Interesse des Westens, die Situation zu eskalieren – nötigenfalls auch ohne Hilfe der USA. 

Wirtschaftlich sieht es für Europa nicht rosig – oder wollen wir ehrlich sein? “katastrophal” – aus und da kommt ein Krieg als Rechtfertigung gelegen. (Alternativ oder ergänzend kann man die Schuld auch noch dem neuen US-Präsidenten in die Schuhe schieben). Rund um Russland wird gezünselt und über NED und USAID Unruhe gestiftet: Aktuell in Armenien oder in Moldawien, bis kürzlich auch in Georgien.

Hilfe von der UNO ist nicht zu erwarten: Mitsamt ihren “Friedenssoldaten” versagt sie aktuell auf ganzer Linie: Weder verhindert sie Kriege noch kann sie Konfliktparteien voneinander trennen. Die Beschlüsse im Sicherheitsrat haben für den Westen sowieso keine Verbindlichkeit mehr (“Regelbasierte Weltordnung“). Selbst die endlosen Beweise für den Genozid, den die israelischen Truppen an der palästinensischen Bevölkerung tagtäglich vollzieht, vermag im Westen kaum jemand zur Kenntnis nehmen. Von grossen Konsequenzen für Israel (Sanktionen, politische Verurteilungen, Anklagen, Ausschluss von Organisationen) vernimmt man gar nichts. Die “regelbasierte Weltordnung”, von der der Rest der Welt so die Nase voll hat, zeigt sie hier exemplarisch. 

Bern schläft weiter

Und “Bern”? Bern merkt nicht einmal, dass sie falsch liegen! Bern stocher sicherheitspolitisch völlig im Nebel und verlässt sich komplett auf die Einschätzung ihrer “Partner”. Das politische “Bern” glaubt einen Gegner zu erkennen, der keiner ist und möchte sich einer Organisation annähern, die eigentlich nur noch als Lachnummer zu bezeichnen ist. Den eigentlichen Gegner, der die eigenen Reihen durchsetzt hat, lässt er gewähren, ja unterstützt ihn sogar noch.

Die Armee (mitsamt den politischen “Freunden”) glaubt noch immer, dass sie es rechtzeitig schafft, im Falle eines militärischen Konflikts etwas ausrichten zu können. Natürlich erfolgt dies auf veralteten Konzepten und eingefahrenen Bahnen. Wer hier noch glaubt, dass es nur am Geld liegt, muss sich zwangsläufig als Lobbyisten der Rüstungsindustrie bezeichnen lassen. 

Lehren aus diesen aktuellen oder auch aus früheren Konflikten zieht die Schweiz kaum – und wenn, dann von der falschen Seite. Aktuell wird von allen Seiten auf die Neutralität geschossen – aber nicht aus Russland, sondern aus der Richtung unserer “Freunde”. Die besten Ratschläge kommen von (ehemals) kommandierenden Kriegsversagern der NATO, ehemaligen Sicherheitsberatern der USA und von NATO-Fan-Gazetten wie der NZZ.

Das grösste Risiko für die Schweiz ist deshalb eine ‘false flag’ Operation genau dieser Kräfte, wofür die angesprochenen Personen höchsten in der Presseabteilung arbeiten. Die Schweiz selbst ist ja technisch für die NATO bereit. Mehr Zusammenarbeit will offenbar eine Mehrheit der Bevölkerung auch. Allein es fehlt der letzte Wille, die Neutralität zu Gunsten der NATO aufzugeben. Dazu wäre ein “grosser Wumms”, den man den Russen in die Schuhe schieben könnte, genau das Richtige! Wer dann noch für Frieden einstehen würde, müsste sich öffentlich als “Sympathisant des russischen Terrors” bezeichnen lassen – wer hält da noch durch? Notfalls kann man diese Leute auch der Obstruktion bezichtigen und verhaften lassen (Corona-Zeit?).

Doch wieso möchte die NATO die Schweiz bei sich wissen? Es sind dies kaum die militärischen Fähigkeiten. Es geht natürlich primär um’s Geld! Die Schweiz hat schon bei Corona gezeigt, dass sie in Notlagen bereit ist, die Schuldenbremse auszuhebeln. Also wird sie es auch in dieser “Notlage” wieder tun. “Luft” für Schulden hat die Schweiz im Vergleich zu ihren “Partnern” ja noch genug. Und ohne Neutralität kann die Schweiz ihre Solidarität durch Milliarden für die Mitfinanzierung von Waffen einsetzen und ihre Gutmütigkeit und Unterstützung breit zur Schau stellen. 

Schlimm ist ebenso, dass die Schweizer Armee nun ein Teil der Verwaltung des Bundes ist und nicht mehr eine eigene Einheit NEBEN dem Bundesrat. Damit lässt sich leider die Grundregel anwenden, dass alles, das vom Staat propagiert wird, grundsätzlich falsch sein muss. Schliesslich zeigt ja die Vergangenheit, dass keines der grossen Probleme der Armee mit irgendeiner Reform wirklich gelöst wurde. Vollständige Ausrüstung? Nein. Muss ich wirklich weitere Beispiele aufführen? Oder welches Problem der Armee der letzten 35 Jahre wurde mit der letzten Armeereform vollständig gelöst?

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