Investitionsplanung der Armee 2023 bis 2035 – Politische Täuschung

Investitionsplanung der Armee 2023 bis 2035

Aufgrund der ersten Erkenntnisse aus dem Ukraine-Krieg und angesichts des vom Parlament beschlossenen und vom Bundesrat unterstützten Wachstums des Armeebudgets hat die Armee die Planung für Investitionen in den kommenden Jahren aktualisiert und sieht vor, bestimmte Vorhaben zeitlich vorzuziehen.

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Welche “ersten [sic!] Erkenntnisse aus dem Ukraine-Krieg [sic!]” sind das? Jene maximal taktisch relevanten, welche uns Kamerad Trojani in den Videos vorgetragen hat? Sind diese “ersten Erkenntnisse” etwa die “low hanging fruits”, welche die Armee einfach umsetzen kann? Es muss so sein, denn was da vorgeschlagen wird, haben Giardino und andere den Armeereformen kritisch gegenüberstehenden Organisationen schon lange gefordert. So lesen wir von folgenden zwei “Erkenntnissen” bzw. (Beschaffungs-)Konsequenzen, welche die Armee nun offenbar sofort (?!) an die Hand nimmt:

  • Erhöhung der Durchhaltefähigkeit
  • Verfügbarkeit

Über die nicht existierende “Durchhaltefähigkeit” habe ich schon früher geschrieben. Und zum Thema “Verfügbarkeit” verweise ich gerne an die vielen Bemühungen von Giardino et al bestehendes Material nicht einfach so zu verschrotten (M-113, Fest Mw, Piranha, Tiger F-5,…). Nur was man hat, hat man.

Das VBS gesteht damit ein, dass Giardino und Co richtig lagen mit ihren Forderungen. Doch leider zieht man darauf die falschen Konsequenzen bzw. nutzt den Erkenntnisgewinn für andere Aspekte. Aber lassen wir das mal…

In den Konsequenzen folgen Beschaffungsvorschläge für die Armeebotschaft. Wirklich etwas Neues vernehmen wir da nicht. Und zu den beiden Erkenntnissen gibt es wenig Konkretes. Die Durchhaltefähigkeit wird nur in diesen Beschaffungen präzisiert:

  • eine 2. Tranche von Mörsern (2022) und Radfahrzeugen für Panzersappeure (2023)
  • Ergänzung des Munitionsvorrats (2023)
  • zweite Tranche von neuen geschützten Führungsfahrzeugen (2026/27)

Beim Rest (und mehrheitlich) geht es oft um Ersatzbeschaffungen (“Erneuerungen”), Erweiterungen der Fähigkeiten, “Verbesserungen”, “Werterhalt” bzw. “Nutzungsdauerverlängerung”. Das ist nicht wirklich eine Verschiebung der Akzente hin zur Durchhaltefähigkeit. Wo bleiben insbesondere die Investitionen in die Logistik?

Es zeigt sich damit exemplarisch, dass die Armee zu viel nachholen muss und selbst die erhöhten, zugesicherten finanziellen Mittel nicht wirklich für die Erhöhung der Durchhaltefähigkeit ausreichen. Man müsste sich deshalb die Frage stellen, ob eine Armee mit der aktuellen Konzeption überhaupt noch das Richtige ist in dieser Situation.

Werfen wir soldann einen Blick auf die Erklärungen, welche aus diesen “ersten Erkenntnissen aus dem Ukrainekrieg” abgeleitet wurden.

Erhöhung der Durchhaltefähigkeit: Die Rüstungsbeschaffungen wurden in den vergangenen Jahren aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen minimal gehalten. Dies hatte dazu geführt, dass die Armee Lücken in der Ausrüstung und in der Bevorratung in Kauf nehmen musste. Durch das Vorziehen von Beschaffungen werden diese Lücken rascher geschlossen als bisher geplant.

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Zunächst sollte man erwähnen, dass viele Lücken vom VBS absichtlich herbeigeführt wurden, ohne einen adäquaten, rechtzeitig evaluierten und beschafften Ersatz bereit zu halten. Dass man diese Lücken nun auf die Finanzen schiebt, ist unehrlich und lässt einen wichtigen Teil der Geschichte weg. #Lückenpresse

Die Armee musste die Lücken nicht “in Kauf nehmen”, denn es wurden ja gleichzeitig keine Waffen und Systeme evaluiert. Erst als das Parlament mit in die Verantwortung genommen wurde und über Ausserdienststellungen mitentscheiden durfte (was niemand wirklich interessierte), konnte sich das VBS etwas aus der Verantwortung nehmen. Bis dahin hat das VBS eigenmächtig Material auf den Schrottplatz geschoben.

Die Lücken werden nun “rascher geschlossen”! “Rasch” heisst im Beamtendeutsch bis 2035 – also in 13 Jahren! Das muss eindeutig von Bernern geschrieben worden sein.

Wie soll nun aber mit diesen Massnahmen und Beschaffungen die “Durchhaltefähigkeit” erhöht werden? Ich dachte, da werden nun erst einmal Lücken geschlossen? Lücken schliessen bedeutet aber nicht die Durchhaltefähigkeit zu erhöhen, denn das müsste heissen, dass v.a. logistisch und personell einiges geändert werden müsste. Dazu steht aber praktisch nichts.

Was uns hier unter dem Begriff “Durchhaltefähigkeit” verkauft wird ist das Schliessen von Lücken in der Rüstung, NICHT die Vergrösserung des Armeebestands und der Anzahl Systeme, so dass sich Einheiten ablösen können. Hier geht es primär um das Aufholen der verschlafenen Ersatzbeschaffungen!

Dass die “Durchhaltefähigkeit” eine valable Erkenntnis aus den aktuellen Ereignissen in der Ukraine darstellt, ist unbestritten. Wie wir gerade sehen, haben die Ukrainer sehr rasch ihre Mittel aufgebraucht und keine kamen nach. Munitions- und Treibstoffdepots wurden durch die russischen Luftstreitkräfte zerstört. Auch die Russen haben schon lange dem Aspekt der “Durchhaltefähigkeit” grosse Aufmerksamkeit geschenkt, indem sie die vergangenen Jahre die Munitions- und Treibstofflager gefüllt haben, die Rüstungsindustrie so aufgestellt haben, dass sie mehr produzieren können als auf dem Schlachtfeld verbraucht wird und indem sie die beteiligten Truppen immer wieder ablösen können während die Ukrainer nahezu ununterbrochen kämpfen müssen. Die Wartung und der ganze Nach- und Rückschub funktioniert. Aber eben: von solchen Erkenntnissen können wir hier nichts lesen. Verdikt: ungenügend oder sogar schwach!

Verfügbarkeit: Das zu beschaffende Material muss in nützlicher Frist auf dem Markt verfügbar sein. Auf lange Evaluationen und Anpassungen des Materials («Helvetisierungen») wird verzichtet.

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Wie bitte? “in nützlicher Frist auf dem Markt verfügbar sein“? Es geht also nicht darum, die System bei sich eingelagert zu haben, um sie dann, wenn man sie braucht, sofort nutzen zu können, sondern einzig darum, sie “in nützlicher Frist” zu beschaffen. Was ist denn “in nützlicher Frist”, wenn ein Gegner bereits in Richtung Schweiz vorstossen sollte? 2 Tage? 1 Woche? Wir haben ja gesehen (Erkenntnis?), dass es rasch gehen kann.

Es geht also nicht um die Verfügbarkeit, sondern den Beschaffungsprozess (ergo ein VBS-internes Problem).

Dass die Ukraine noch über nützliche Waffen verfügt, hängt einzig noch mit den Lieferungen aus dem Westen zusammen. Diese Waffen können aber nur kurzfristig eingesetzt werden, sofern die Truppen darauf ausgebildet wurden und auch deren Instandhaltungsprozesse pflichtgemäss ausführen können. Ohne diese Wartung wird aus einer Waffe rasch einfach nur noch Schrott. Dieser Prozess geht aber völlig vergessen, womit wir wieder bei der “Durchhaltefähigkeit” wären.

Fazit:

Was das VBS uns hier also auftischt ist billigste Propaganda! Weder wird die Durchhaltefähigkeit erhöht noch wird die Verfügbarkeit der Systeme sichergestellt. Von der wichtigen Logistik lesen wir kein einziges Wort, obschon sie für die beiden Aspekte “Durchhaltefähigkeit” und “Verfügbarkeit” (haupt-)verantwortlich wäre.

Richtig wäre gewesen, vom “Schliessen von Fähigkeitslücken” zu sprechen. V.a. darum geht es hier. Aber dazu braucht es keinen Ukrainekonflikt und damit lässt sich das Thema auch nicht so gut an die Politik verkaufen. Schliesslich müsste man dann der Politik den Vorwurf machen, dass sie eben dies die ganze Zeit verschlafen hat bzw. die heutige Situation verursacht hat.

Das Papier dient also einzig dazu, die Rüstungsbeschaffungen irgendwie mit dem Ukrainekonflikt in Verbindung zu bringen und – ganz professionell – den Eindruck zu erwecken, man habe wirklich etwas aus den Vorgängen gelernt. Bei näherer Prüfung fällt das Papier aber durch.

Ein Grund mehr, der Armee, dem VBS und der Politik die Unterstützung zu entziehen.

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