Abstimmung über neue Kampfjets – Eine Qual ohne Wahl

Diesen 27. September 2020 werde ich bei der Frage nach der Beschaffung neuer Kampfjetzt zum ersten Mal “leer” einlegen müssen. Die Wahl zwischen Pest und Cholera lässt mir leider keine andere Wahl.

Das fundamentale Problem wurde anlässlich der Pressekonferenz zur Lancierung des Abstimmungskampfs einmal mehr deutlich – sofern man sich einige Gedanken dazu macht. Die von mir angeregten Fragen im Anschluss an die Pressekonferenz vom 26. Juni 2020 haben das Dilemma nochmals verdeutlicht.

Die erste Frage drehte sich um die Durchhaltefähigkeit der Luftwaffe auf Basis von (nur noch) 32 Jets. Der CdA blieb da ausweichend und verspricht mit einem Lächeln – aber erst auf Nachfrage – dass sogar “Monate” möglich sind. Der Rüstungschef schiebt nach, welche logistischen (!) Anforderungen erfüllt sein müssen und unterlegt dies mit der Aussage, dass “bei geschlossenen Grenzen” die Logistik während 6 Monaten gewährleistet werden muss.

Tönt gut, reicht aber nicht aus. Da gibt es noch weitere limitierende Faktoren: z.B. die Anzahl abgeschossener oder ausgefallenen Jets. Eine Reserve scheint es mit 32 Fliegern ja kaum zu geben. Also wäre die nächste Frage: Ab welcher Anzahl Jets kann der Verfassungsauftrag nicht mehr erfüllt werden? 30? Haben wir nicht aktuell noch 30 “duellfähige” F/A-18 im Dienst? Reicht das noch? Ist dies noch verfassungsmässig?

Selbstverständlich muss die Logistik klappen. Aber heisst eine Durchhaltefähigkeit von 6 Monaten auch, dass man sich im VBS auf eben nur diese 6 Monate vorbereitet und z.B. nur Flugpetrol für eben diese 6 Monate einlagert? Und dann?

Nur schon die Nennung einer solchen Limite ist fahrlässig. Denn mit anderen Worten: Die Souveränität und Neutralität hat im Krisenfall ein Verfallsdatum. Das dürften auch unsere Gegner mitbekommen haben. Damit macht sich die Schweiz selbst erpressbar und die Verteidigungsbereitschaft wird zur Lachnummer. Ein Gegner müsste nur den Schein (!) von erhöhtem Missbrauch unseres Luftraums schaffen (Cyber-Op mit dem Ziel, dass auf unseren Radaren gegnerische Flugzeuge erscheinen, die in Wahrheit aber nicht existieren) und die Schweiz wäre innert weniger Wochen – Experten rechnen von 1 bis 2 Monaten im Maximum! – “ausgeschossen”. Die Flieger blieben am Boden – wie auch die Moral, die Piloten wären müde und das Vertrauen dahin.

Der nächste Journalist hakt nach:

Die Frage müsste doch eine andere sein: Wie viele Jets (mit dazu passender Leistung) benötigt die Schweiz, um das in der Verfassung definierte und im Armeebericht ausgeführte Leistungsprofil zu erfüllen? Schauen wir dazu auf die bekannte Grafik:

Die Einsatzdauer für die “Wahrung der Lufthoheit mit verstärktem Luftpolizeidienst” wird mit “während Wochen” ausgewiesen. Alleine darin sieht man bereits, dass es die aktuelle Armee nicht schafft, über längere Zeit in einer Krise die nötige Leistung zu erbringen.

Schon früher habe ich darauf hingewiesen, dass der “Kriegsfall” im Leistungsspektrum nicht ausgewiesen wird. Einzig der “Erhalt und [die] Weiterentwicklung von Fähigkeiten zur Abwehr eines militärischen Angriffs” sollen permanent (?!) erfüllt werden. Welche konkrete Leistung erwartet wird, ist nicht definiert.

Umso mehr ist die Aussage des CdA nicht nachvollziehbar, dass mit diesen 32 Jets die Leistung im Verteidungsfall während “Monaten” erfüllt werden könnte. Diese Aussage basiert entweder auf Nichtwissen, ist gelogen oder einfach so dahergesagt.


Die zweite Frage des Journalisten legt den nächsten Finger auf eine ebenso fundamentale Wunde: Wie steht es um den “Plan B”?

Zur Erinnerung: Wie der Gripen an der Urne “abgeschossen” wurde, klaffte in den Rüstungsprogrammen eine Lücke, welche rasch mit neuen – unausgereiften – Investitionen geschlossen werden musste. Eines der somit überstürzt beschafften Systemen ist der Mörser 16. Die Beschaffung hat die Eidgenössische Finanzkontrolle in einem sehr kritischen Bericht genauer unter die Lupe genommen. Man würde glauben, dass die Armeeführung bei dieser Abstimmung etwas vorausschauender plant und bereits einen “Plan B” bereithält.

Doch offenbar besteht kein “Plan B” – so jedenfalls die Aussage von BR Amherd. Stattdessen gibt sie zu bedenken, dass wir es dann mit einer “grundlegend anderen Situation” zu tun hätten.

Richtig. Spätestens dann müsste man über eine völlig neue Armee nachdenken. Aber bis diese konzipiert, durch alle politischen Instanzen durchgebracht und dann auch noch umgesetzt wäre, würden locker 15 Jahre vergehen. Dann hätten wir das Jahr 2035 – eher aber 2040. Bis zu diesem Zeitpunkt hätten wir eine Armee die konzeptionell nicht funktioniert, weil die 3. Dimension lückenhaft ist und höchstens passiv oder vom Boden “verteidigt” werden könnte.

Und was macht man bis dann? Einfach so wie bisher? Den Kopf in den Sand stecken? Ob es ohne Luftschirm noch vertretbar ist, die Bodentruppen von A nach B zu verschieden, wäre eine weitere Frage. In diesem Fall würde nicht einmal mehr eine Revision des Zivildienstgesetzes helfen, dass genug Bürger Dienst leisten würden. Wer will schon in einen Kamikaze-Krieg geschickt werden? (Leseempfehlung: “Recht und Pflicht von Armee-Angehörigen zur Befehlsverweigerung in einem künftigen Verteidigungsfall” von Dr. Ruedi Schaub) Doch dieses Szenario will keiner der Jet-Befürworter an die Wand malen. Dabei wäre es nur ehrlich.

Selbst ohne diese fundamentalen Überlegungen sollte man doch annehmen, dass die bei einem NEIN frei gewordenen finanziellen Mittel sinnvoll investiert werden sollten. Doch auch da scheint es kein alternatives, durchdachtes und beschaffungsreifes Rüstungsprogramm zu geben. Das Risiko, dass damit wieder viel Geld für “Spontankäufe” draufgehen, ist hoch.


Welche Wahl habe ich also am 27. September 2020 an der Urne?

Ich könnte ein JA einlegen. Dann wüsste ich aber, dass der Auftrag aus der Bundesverfassung – trotz gegenteiliger Beteuerungen von offiziellen Kreisen und deren Nachplapperer in den Milizorganisationen – nicht erfüllt werden kann. Ich würde mit meinem Ja also einen Verfassungsbruch demokratisch legitimieren. Dies widerstrebt mir zutiefst.

Es gibt Stimmen, die dann einwerfen, dass wir zumindest die “Kompetenz” erhalten würden und in ein paar Jahren weitere Fliegen kaufen könnten. Aha, also wie damals in den Neuzigern, als man 34 Hornets gekauft hat und dann versprach, später mehr davon zu kaufen um die Fähigkeitslücken (CAS) schliessen zu können? Oder als man mit dem Gripen-Geschäft von einem “Tiger-Teilersatz” (TTE) sprach. Es hätten später also noch mehr Flieger dazukommen sollen? Interessanterweise sprach man aber danach nur sehr zurückhaltend, dass diese Fähigkeitslücken bestehen würden. Man hat aber kaum einen ernst gemeinten Versuch gestartet, diese Lücken auch wirklich zu schliessen. Selbst beim Gripen hätte man die nächste Lücke sogleich wieder geöffnet (“Teilersatz”).

Bei einem NEIN hätte ich immerhin die Hoffnung, dass die Armee fundamental über die Bücher müsste, weil das bisherige Konzept nicht mehr vom Volk mitgetragen wird. Doch eine Lücke von 15 bis 20 Jahren ist ein zu hohes Risiko. Zudem besteht Grund zur Annahme, dass man es einfach nochmals ein paar Jahre später mit neuen Fliegern versucht – in der Hoffnung, dass das Volk dann zustimmt. Fähigkeitslücken scheint die Armeeführung ja nicht besonders zu beunruhigen, schliesslich hat man solche seit Jahren akzeptiert (Erdkampf, Aufklärung, 12cm Bogenschuss, früher auch PAL, etc.).

Unterstützt man mit einer Stimmenthaltung also die Anliegen der GSoA? Meiner Meinung nach nicht, denn die GSoA gewinnt sowieso, egal wie die Abstimmung ausgeht. Das Nein dürfte klar sein, aber wieso gewinnen sie auch bei einem Ja? Da brauche ich nur auf die Ausführungen oben zu verweisen. Wenn die Armee behauptet, sie könne mit 32 Fliegern den Verfassungsauftrag vollumfänglich und über Monaten erfüllen, wozu soll die Armee dann in Zukunft wieder mehr Flieger beschaffen wollen? Es geht ja auch so! Eine weitere Verkleinerung der Armee wird demokratisch legitimiert beschlossen. Die Armee manövriert sich einmal mehr in die Ecke, aus der sie argumentativ nicht herauskommen wird. Wer an einen späteren Aufwuchs glaubt (wenn die “Kacke bereits am dampfen ist”), wird ein unschönes Erwachen erleben.

Wieso dann nicht “pragmatisch” einfach mal “Ja” sagen? Man kann ja später immer noch schauen, wie man aus der Kompetenz zu einer Leistung kommt… Das geht ja eben wie oben ausgeführt nicht! Pragmatismus führt direkt ins Verderben oder vielleicht ist es sogar eine Falle der Armeeabschaffer?!

Die Armee hat sich also in eine (weitere) Zwickmühle manöveriert. Und als Befürworter einer Milizarmee stehe ich vor einem Dilemma. Keine der beiden Möglichkeiten führt zu einem für mich akzeptablen Resultat. Ich habe nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Da wähle ich lieber die “Nullvariante”.

NACHTRAG 1:

Im Dokument “Luftverteidigung als Gesamtsystem” (PDF) gibt es ein paar ganz tolle Aussagen zum Thema “Durchhaltefähigkeit”.

Ist die Durchhaltefähigkeit des Verteidigers gering, weil er nur über wenige Kampfflugzeuge verfügt, so ist das Gros seiner Flotte nach kurzer Zeit in der Instandhaltung gebunden. Der Verteidiger verliert damit die Luftüberlegenheit, ohne dass der Aggressor direkt angreift.

Seite 10, Abschnitt “Hybride Konflikte”

Eine fantastische Aussage, die jedoch in ihrer Bedeutung auf die Anzahl Flieger nicht erkannt wird – jedenfalls nicht in diesem Dokument.

Welche Mittel setzt ein Gegner dazu ein?

Luftraumverletzung:
Mehrfache, gezielte Verletzungen des Luftraums, um die Durchhaltefähigkeit der Luftverteidigung zu reduzieren (Abnützung der Verteidigungsmittel)

Seite 11, Abschnitt “Hybride Konflikte”

Aber behalten wir diesen Punkt einmal im Kopf und gehen wir zurück zur “Normalen Lage” und dem Luftpolizeidienst, der ab 2021 über 24/365 sichergestellt werden soll (Projekt “LP24”). Natürlich müssen dann nicht immer 2 Flieger “in der Luft” sein, aber sie müssen – zusammen mit den Piloten und der ganzen Logistik – bereit stehen. Eine genaue Anzahl Flieger, die man dafür vorsehen muss, kann man nicht so einfach nennen. Dazu gibt es zu viele Variablen, die unbekannt sind (Endurance, Turnaround Time, Flugzeugtyp, Wartungszyklen). Aber gehen wir mal davon aus, dass 6-10 Flieger alleine für diese Aufgabe zugewiesen werden müssen. Dann blieben uns bei “Besonderen Lagen” und “Bewaffneten Konfliken” also noch rund 20-24 Flieger (Ob damit dann auch noch die Patrouille Suisse weiterbestehen bleibt, wage ich zu bezweifeln!).

Eine besondere Herausforderung bei der Wahrung der Lufthoheit ist die Durchhaltefähigkeit. Gerade in hybriden Konflikten, d. h. in einer eigentlichen Grauzone zwischen Frieden und Krieg, können Spannungen über mehrere Monate anhalten, ohne dass ein Gegner einen eigentlichen bewaffneten Angriff durchführt. Damit nimmt die Beanspruchung der eingesetzten Kampfflugzeuge nicht nur zu, sondern sie müssen auch in einem höheren Zyklus gewartet werden. Entsprechend steigt der Mittelbedarf während einer länger anhaltenden Spannung.

Seite 16, Abschnitt “Spannungen”

Auch diese Aussage muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! Es dauert 5 Jahre, bis der LP24 Realität wurde – auch wegen der höheren Erfordernissen – aber hier in einem spannungsgeladenen Moment soll das dann plötzlich von einem Tag auf den anderen gehen. Man zeige mir die Pläne und Konzepte!

Zu guter Letzt, was ist die Aufgabe der Luftwaffe in einem “Bewaffneten Konflikt”?

Die Luftwaffe muss in der Lage sein, eine permanente gegnerische Luftüberlegenheit zu verhindern und über entscheidenden eigenen Bodenoperationen eine zeitlich und räumlich begrenzte Luftüberlegenheit zu erlangen.

Seit 18, Abschnitt “Bewaffneter Konflikt”

Zu schnell gelesen? Also nochmals: Was heisst das auf Deutsch? Die Anforderungen an die Luftwaffe in einem Bewaffneten Konflikt sind MINIMAL! Wenn eine permanente gegnerische Luftüberlegenheit verhindert wird, sprechen wir davon, dass die Schweizer Luftwaffe es irgendeinmal im Jahr X schafft, ein paar Flieger in den Himmel zu bringen, ohne dass sie sofort abgeschossen werden (denn diese Luftüberlegenheit hat der Gegner ja, dann eben einfach nicht permanent). Die Flieger schaffen es sogar, in einem zeitlich und räumlich begrenzten Raum die Luftüberlegenheit (nicht die Lufthoheit!) zu erlangen (= Der Gegner schläft, hat keine Mittel bereit oder lässt sich verscheuchen/abschiessen). Dieser Einsatz der Luftwaffe erfolgt aber nur, sofern die Bodenoperationen “entscheidend” sind (also z.B. um die Sieg zu erringen). Für alle anderen Bewegungen am Boden steht die Luftwaffe nicht als Schutzmacht über den Köpfen zur Verfügung. “Sorry Jungs, ihr seid nicht entscheidend – auch heute gibt es keinen Schutz aus der 3. Dimension!” Von der Bevölkerung spricht hier die Luftwaffe schon gar nicht…!

Doch wie sagt Frau BR. Amherd im Blick:

Wenn das Stimmvolk die neuen Kampfjets ablehnt, wäre dies das Ende der Luftwaffe, wie wir sie kennen. Die Bevölkerung wäre Angriffen aus der Luft schutzlos ausgeliefert. Diese Verantwortung kann ich als Verteidigungsministerin nicht tragen.

Blick.ch 16.08.2020 / Hervorhebung Autor

Wie man angesichts dieses Dokuments der Öffentlichkeit versichern kann, dass man mit +/- 30 Flieger Land und Leute beschützen kann, kann ich nur mit dreister Lüge und Propaganda erklären. Faktisch hält die Aussage sicher nicht stand. Wann tritt Frau Amherd zurück?

Zur Erinnerung: In den Flugzeug und Armee-Botschaften des Bundesrats “WEA” und “Gripen” hiess es noch: «34 F/A-18 genügen nicht zur Verteidigung des Luftraumes.» Ähnlich tönt es in den jüngsten Sicherheitspolitischen Berichten (SipolB). Doch plötzlich reichen diese +/- 30 Jets… Man reibt sich verwundert die Augen.

Linke und GSoA werden den Ball gerne aufnehmen und stets darauf verweisen, dass die Armee stets versichert hat, dass sie auch mit dieser Anzahl Flieger den Auftrag erfüllen könne. Da wünsche ich “Viel Erfolg bei der Gegenargumentation!”

NACHTRAG 2:

Ist eine Vorlage, welche – egal wie das Abstimmungsergebnis ausfällt – grundsätzlich einen verfassungswidrigen Zustand herbeiführt überhaupt zulässig? Wieso schreiten hier keine Staatsrechtler ein?

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